gabriele hat in der Schule Latein gelernt. Noch dazu war ihr Großvater Lateinlehrer. Diese Sprache wurde ihr quasi in die Wiege gelegt. So glaubte sie zu wissen, was einige lateinische Begriffe der Alltagssprache bedeuteten. Vor allem häufig verwendete, wie Koalition zum Beispiel. In letzter Zeit zweifelte sie allerdings an ihrem Wissen. Denn das, was sie zu wissen glaubte, stimmte nicht mit dem überein, was sie sah. Weil der Latein-Großvater nicht mehr ist, fragte sie Wiki. Wiki weiß alles. Oder vieles.
„Eine Koalition (von lateinisch coalitio ‚Zusammenwachsen‘, ‚Vereinigung‘, ‚Zusammenschluss‘)“ *
Nach dem Lesen war sie nicht wirklich weiser. Sie wusste nun, dass ihr Verständnis des Wortes korrekt war, dass der Großvater sich ob ihres vergessenen Spracherbes nicht im Grab umdrehen musste. Sie verstand aber immer noch nicht, wie dies mit der Realität zusammenstimmen sollte. Da gab es doch diese Koalition. Aber von Zusammenwachsen, Vereinigung und Zusammenschluss war keine Spur. Also recherchierte sie weiter.
„Echte Koalitionen gab es früher in Österreich (…)“ *
Echte Koalitionen. Interessantes Adjektiv. Früher also. War es nicht so eine echte Koalition wie früher, sondern vielleicht eine Koalition zwischen ÖVP und NVP? Die andere Farbe nahm man mit auf Pressekonferenzen, weil es sein musste? Sie spürte, dass sie der Sache langsam auf der Spur war. Also las sie weiter.
„Die in den Koalitionen ausgehandelten Besetzungen der Bundesminister sind von großer Bedeutung, weil diese in ihrer Amtsführung weitgehend weisungsfrei sind, der Bundeskanzler als Regierungschef ist nur ein primus inter pares im Ministerrat als oberstem beschlussfassenden Organ der Administrative, das aber nur allgemeine Leitlinien vorgibt.“ *
Weitestgehend weisungsfrei. Außer es ist wer grad verhindert. Im Krankenhaus oder so. Da kann man dann schon eingreifen. Muss man quasi. Und schon wieder ein lateinischer Begriff. Es heißt Wiki-Link folgen. Denn Wiki weiß alles. Oder vieles.
„Ein primus inter pares (lateinisch für „Erster unter Gleichen“, weiblich prima inter pares) ist ein Mitglied einer Gruppe, das dieselben Rechte innehat wie alle anderen auch, aber trotzdem eine erhöhte Ehrenstellung genießt. Diese Stellung hat meist repräsentativen Charakter und ist mit keinen Privilegien verbunden.“ *
Verwirrungsalarm – Erster unter Gleichen. Samma erst oder samma gleich? Sind manche gleicher als gleich? Und dann wieder ein Hinweis: Ehrenstellung – auf Fotos und so? Ja, das hat gabriele schon öfters beobachtet. Als sie glaubt, zurück auf die Spur gefunden zu haben, folgt auch schon der nächste Rückschlag. Keine Privilegien. What? Gleicher als gleich, aber keine Privilegien? Da soll eine noch mitkommen.
Sie versteht also das Koalitions-Wort nicht. Auf lateinisch schon, auf österreichisch nicht. Sie scheint damit nicht allein zu sein. Denn der, der für Gesundheit aller zuständig war und nun auf seine eigene schaut, der, der für Tiere zuständig war und sich nun seinem eigenen widmet, der schien es auch falsch verstanden zu haben. Das Zusammenwachsen. Die Vereinigung. Den Zusammenschluss. Wie in der Tierwelt, die mal zu seinen Aufgaben gehörte, warteten sie schon auf das Fressen. Die Raubtiere. Jene, die den König der Löwen füttern und streicheln, jene, die andere gerne zerfleischen – in Sozialen Medien. Sobald der letzte Atemzug als Minister getan ist standen sie zur Stelle. Dann warten sie aufs Frischfleisch und der „cycle of (coalition) life“ beginnt von vorne.
Sogar der Wolf ist schon so verwirrt, dass er Namen verwechselt, ob der sich ständig ändernden Beute in diesem sich ständig erneuernden Zyklus. Die Menschen in Ehrenstellung (aber ohne Privilegien) und deren Gefolge haben ihr Beuteschema nicht geändert: alles, was Wählerstimmen stehlen könnte, muss weg. Koste es, was es wolle.
Er ist nun vielleicht mit seinem Latein am Ende, aber in der Tierwelt kennt er sich aus. Er weiß: wenn ein Herrchen oder Frauchen die Hundeschule abbricht, dann nutzt alle Freunderlwirtschaft zwischen Mensch und Tier nichts mehr. Irgendwann wird er oder sie es bereuen. Irgendwann wird ihm der Hund auf den Kopf scheißen. Mal schauen, ob das bei studienabbrechenden Buberln auch zutrifft. Ob sie irgendwann das nicht-Abschließen des Jusstudiums bereuen werden. Weil irgendwann einer seinen Kanzler nicht mehr lieben wird. Weil ihm irgendwann ein Freunderl auf den Kopf scheißen wird, wenn sie anderswo noch mehr als alles bekommen. Bis dahin gilt: Survival of the (slim)fittest.