Sie hat auf Insta eine Grafik mit dem Titel „Mutti hat viele Aufgaben“ gesehen, die anscheinend aus einem aktuellen Schulbuch stammen soll. Das Bild der kochenden, Schuhe-putzenden und Hemden-stärkenden Hausfrau und Mutter vermischt sich in mit den Gedanken aus dem Meeting, aus dem sie gerade kommt. Der Personalchef, der Finanzchef, der Betriebsrat und der Leiter der Sozialabteilung (nein, sie hat das Gendern nicht vergessen, da saßen tatsächlich nur Männer am Tisch) fragten, ob sie die 30-jährige, hochqualifizierte Akademikerin mit relevanter Erfahrung wirklich einstellen möchte. Frisch verheiratet, da sei der Kinderwagen ja praktisch schon gekauft, das Babykäppchen schon gestrickt. Der Name eines männlichen Bewerbers, deutlich weniger qualifiziert, wurde in die Runde geworfen. Sein Name verrät, dass es sich um einen Mann handelt und aus sicherer Quelle weiß sie, dass er der gleichen Partei angehört, wie der Personalchef und mit einem der leitenden Mitarbeiter an Wochenenden regelmäßig Karten spielt. Der Job wurde ihm mit seinem Geschlecht in die Wiege gelegt, das Parteibuch hat den Job fast garantiert, in der Männerrunde wird bei einem Bier drauf angestoßen.
Bevor die hungrigen Wölfe (man nennt sie auch Teenager) nach Hause kommen, kocht sie noch schnell etwas. Das Officeoutfit hat sie noch nicht abgelegt und daher überlegt sie kurz, ob sie die Mantelschürze der alten Tante überziehen soll. Die Schürze der Tante, die in ihrer Jugend dafür gekämpft hatte, dass sie als Frau in die Handelsschule gehen darf. „Wofür braucht eine Frau einen Schulabschluss??“, fragte sich ihre Familie!? Sie setzte sich durch, ging in die Handelsschule. Was die Schürze aus den 50er Jahren versinnbildlicht, das mag sie nicht. Die Schürze selbst hingegen mag sie sehr, weil sie sie von dieser starken Frau geerbt hat. Der Gedanke, dass die braven Hausfrauen von damals im Sommer nur sehr wenig unter diesen Mantelschürzen trugen, bringt sie immer wieder zum Schmunzeln. Irgendwie geil, das Retro-Teil.
Sie zieht die Schürze trotzdem nicht an, obwohl oder gerade weil die Klassenlehrerin des zweiten Kindes beim letzten Elternabend die Rolle der Schürzen-tragenden Frauen ganz klar beschrieben hat: „Wenn Ihr Kind von der Schule nach Hause kommt, eine Unterschrift braucht und Sie (wahrscheinlich) gerade mit Kochen oder sonstiger Hausarbeit beschäftigt sind, dann wischen Sie sich die Hände an Ihrer Schürze ab und unterschreiben seine Schularbeit. Sogleich!“ Die Juristin, die Wirtschaftlerin und die Kindergartenpädagogin, deren Kinder gemeinsam in diese Klasse gehen, hörten hinter der Schulbank sitzend sprachlos zu. Eine sagte (mehr zu sich selbst als zu irgendwem): „Ich kann gar nicht wirklich kochen. Bei uns kocht immer der Mann.“
Gehört die Lehrerin zu den Frauen, bei denen um 12Uhr Mittags der Tisch gedeckt und das Essen fertig ist? Immer? Gehört sie zu den Frauen, die den Mann fragen, ob sie neue Kleidung kaufen „dürfen“? Er verdient ja schließlich mehr, sie selbst arbeitet nur „ein bisschen“. Gehört sie zu den Frauen, die über andere Frauen redet, wenn sie wieder arbeiten gehen, wenn sie doch Ehefrau und Mutter ist und der Mann eh gut verdient? Warum dann arbeiten gehen? Gehört sie zu den Frauen, die über andere Frauen tratscht, wenn diese an einem Vormittag in einem Café „ertappt“ wird? Denn eigentlich sollten sie ja mit umgebundener Schürze, für den Mann im Hause feinst hergerichtet, zu Hause sein und kochen. Oder abwaschen. Oder den Einkauf wegräumen. Oder die Wäsche machen. Oder die Wäsche bügeln. (Hemden und Schürzen stärken nicht vergessen!) Oder Fenster putzen. Oder staubsaugen. Oder Schuhe putzen. Oder nähen. Oder die Hände abwischen und die Schularbeit sogleich unterschreiben, wenn das Kind von der Schule nach Hause kommt. Denn Aufgaben hat Mutti schließlich viele.
Dem Kind bei der Hausübung zu helfen, das ist auch noch so eine Aufgabe von Mutti. „Gleichberechtigung und Rollenbilder im Laufe der Zeit“ – das ist der Titel des zu schreibenden Aufsatzes. Die Aufgabenstellerin ist besagte schürzentragende Lehrerin. „Wenn Papa mit deinem Bruder vom Baby-Schwimmen nach Hause kommt, ihn gewickelt und ins Bett gebracht hat, dann kannst mit ihm reden. Er hilft dir sicher gern! Ich erzähl dir dann morgen vom Film.“, sagt sie zum Kind, zieht sich um und geht ins Kino. „Die göttliche Ordnung“ läuft gerade. Die Klassenlehrerin sollte sie vielleicht gleich mitnehmen, aber nur, wenn sie die Schürze ablegt und ihre Augen öffnet für das, was sich diese Frauen hart erkämpften, in einem uns bekannten Land, vor gar nicht allzu langer Zeit….