die wichtigste Aufgabe des Tages

„Heute habe ich fast die wichtigste Aufgabe des Tages vergessen“, sagt Gerda, als sie ins Auto einsteigt. Sie fahren gemeinsam zu Annemarie, wo diese Woche der Montagskaffee stattfindet. Alle vierzehn Tage trifft man – bzw Frau – sich bei einer der Schwestern zu Hause. Nur Bertram, der ledige Bruder, gesellt sich manchmal zu ihnen. Dem macht das nichts aus. Er neckt sie ein bisschen, genau wie früher, und bringt Neuigkeiten aus seinem Umfeld mit in die Runde. „Ich hätte fast vergessen, das Bett zu machen! Das wäre Fritz gar nicht recht. Zum Glück war er noch beim Frühschoppen, als ich es bemerkt habe.“, ergänzt Gerda.

Der Montagskaffee ist bereits in vollem Schwung als Rosi eintrudelt. Zu spät, wie immer. „Hubert hat heute einen längeren Mittagsschlaf gemacht. Ich musste noch warten, bis er aufwacht, damit ich ihm den Nachmittagskaffee aufsetzen und bringen konnte, bevor er zum Kartenspiel geht.“ Als sie sich an den Tisch setzt und nun selbst einen Kaffee serviert bekommt, werden aktuelle Neuigkeiten besprochen. „Habt ihr schon gelesen, wer gestorben ist?“ Die Frage wird wiederholt, da alle Anwesenden nicht mehr gut hören, auch wenn sie ihren Männern hörig sind. In ihrem Alter als erstes die aktuellen Todesanzeigen durchzugehen ist eine interessante Strategie. Zeile für Zeile werden sie auseinandergenommen, sie bieten ausgiebigen Gesprächsstoff. Bis Berta das Thema wechselt – vom Blumenschmuck bei der letzten Beerdigung kommt sie auf den Blumenladen zu sprechen, der auch ein Café ist. „Das Café ist jeden Vormittag voller junger Frauen. Ich konnte es kaum glauben, als ich vor kurzem einen Blumenstrauß gekauft habe. Also früher, da mussten wir arbeiten. Und kochen. Mein Seppl hätte nicht gewollt, dass ich ganze Vormittage im Café verbringe.“ Keine stellt die Aussage in Frage, alle stimmen zu und überlegen schweigend, wie diese Frauen es schaffen, ihrem Mann trotzdem, pünktlich um 12Uhr, eine warme Mahlzeit zu servieren.

Und schon ist es 17 Uhr. Zufrieden, dem Alltag zwei Stunden lang entflohen zu sein, sagt Rosi sie müsse gehen. Hubert komme gleich vom Kartenspielen heim und habe dann Hunger. Er esse gerne pünktlich vor den Regionalnachrichten. Gerda kehrt zurück zu ihrem Hubert, dem sie zeitgerecht das Bett aufschlagen wird, bevor er sich zur Ruhe legt. Dann wird sie seine Kleidung für den nächsten Tag vorbereiten, und mit dem Hinlegen der Socken und Unterhosen die To-Do-Liste für den heutigen Tag erfolgreich abschließen. Sie wird noch 3 Vater-Unser beten, damit sie am morgigen Tag die wichtigste Aufgabe des Tages nicht wieder fast vergisst.

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert