GerNot, hab ich gesagt, bist in einer Not? Bisschen schwierig heutzutage, wenn immer alle alles lesen, anschauen, kommentieren und sich das Gesehene und Gelesene auch noch merken. Naja, fast alle merken sich fast alles. Oder die Falschen merken sich das Falsche? Während sich andere an gar nichts erinnern. War schon einfacher früher, als wir die Fotos noch analog in einer Kiste im Dachboden der Eltern lagerten. Da konnte man die peinliche Frisur, den Cordanzug und den Commodore 64 unter dem Dachbodenstaub in Vergessenheit geraten lassen. Und Laptops gab es noch keine, da musste man sie erst gar nicht vergessen.
Also ich bin ja gerade in einer Kreativpause, habe mich dem Theater gewidmet, trage ein Goldfischkostüm. Da hab ich ein Gespür bekommen – Goldfisch in Not und so. Denn es scheinen sich auch bei dir Goldfisch-ähnliche Charakterzüge entwickelt zu haben. Deshalb tauche ich für dich wieder in die von Herrenanzügen dominierte Welt der Politik ein und geb‘ dir a bisserl Nachhilfe in Tierkunde, helf‘ dir auf die Sprünge, damit du nicht weiterschwimmst im Meer der vergessenen Erinnerungen.
Als ich erfuhr, dass ich im Theater ein Goldfischkostüm tragen werde, habe ich als Laie auf die Erfahrung der Profis vertraut. Ist ja nur ein Kostüm, dachte ich mir. Wir verstecken uns oft hinter Masken, sobald wir unsere eigenen vier Wände verlassen. Warum nicht auch im Theater. Gerade im Moment ist es in manchen Bereichen auch recht wichtig, eine Maske zu tragen. Außer in weißen Häusern, aber das ist eine andere Geschichte. Bleiben wir beim Theater, wo man darf aus der eigenen Haut heraus in ein Kostüm schlüpfen darf. In meinem Fall in die goldig-orangenen Schuppen des Goldfisches. Am Tag nach der Generalprobe, vergaß ich das Kaffeepulver in die Kaffeemaschine zu geben. Als der Kaffee nur als zart bräunlich gefärbtes Wasser erschien, war ich kurz verwirrt. Hat sich der Goldfischcharakter in mein Hirn geschlichen? Ist es doch mehr als ein Kostüm? Habe ich mich zu sehr mit meiner Rolle identifiziert? Sofort holte ich meinen Laptop – ich besitze übrigens zwei davon, falls du mal einen brauchst – und machte mich schlau. Langer Rede kurz-er Sinn: Das mit dem Goldfisch und dem Erinnern und dem Vergessen ist nicht ganz so, wie es der Volksmund oft überträgt. Der Goldfisch kann sich sehr wohl länger als drei Sekunden an etwas erinnern, und zwar für mindestens drei Monate – so steht es im Internet.
Nun hätte dich ein Goldfisch aus deiner Situation retten können. Kostüm anziehen und gut gegangen. Ich hätte es dir geliehen, dir aus deiner Not geholfen. Was tun? Was das Volk (im Internet) sieht, was das Volk liest, was das Volk (aus dem Untersuchungsausschuss) hört –wird es das vergessen, wenn es wählt? Gute Frage! Mein Goldfisch-Rat: Goldfische müssen gut aufpassen. Mehr als drei Sekunden lang. In der Menschenwelt auch mehr als 3 Monate lang. Was in Flugzeugen, in Sitzungen, in Ferienvillen fotografiert und gefilmt wird, das kommt irgendwann, irgendwie an die Wasseroberfläche, schwimmt mit dem Bauch nach oben, für alle sichtbar. Beginnt zu stinken mit der Zeit. Wie ein toter Goldfisch.
Also, lieber GerNot. Mein Kostüm hilft dir nicht aus der Not. Bemüh dich, mach Gehirntraining – dafür gibt es viele Apps – fürs Handy und für den Computer. Ansonsten schau mal kurz durch deine Timeline. Die wird dir auch helfen, beim Erinnern. Oder besorg dir eine Schreibmaschine, so wie ich eine habe. Mit der tippt man auf Papier. Das muss man nicht von anderen shreddern lassen, ein Streichholz genügt, wenn man sich an das Geschriebene nicht erinnern will.
Bis dahin – fröhliches Schwimmen, Deine Gabriele Goldfisch.