Bücher sind die neuen Waffen

Die Waffengeschäfte beschäftigen die Nation. Weil sie als systemrelevant gelten und offen haben dürfen. Buchhandlungen hingegen nicht. Nicht systemrelevant, daher nicht offen. Während man ins Waffengeschäft gehen, die Waffen-Bestseller so lange man möchte begutachten und auch vor Ort kaufen darf, mit Maske versteht sich (dann fällt man auch weniger auf), darf man im Buchhandel nicht einmal das Buch „Mord am Bodensee“ oder das Hörspiel „Die drei ???: Kelch des Schicksals“ kontaktlos abholen.

Auch für gabriele ist das alles nicht ganz stimmig. Sie fragt sich, ob der Buchhandel eventuell dem falschen Wirtschaftszweig zugeteilt wurde. Gehört er nicht auch zum Waffenhandel? Es sprechen viele Argumente dafür:

gabriele liebt Papier und Bücher. Zum Schreiben, zum Lesen, zum Basteln. Für ihren Job sind die relevant, aber in ihrem Privatleben, für ihre psychische Gesundheit. Nicht ganz ungefährlich jedoch, der Umgang mit Papier und Buch, das hat sie schon an der eigenen Haut erlebt. So hat sich gabriele wiederholt Schnitte zugezogen, die mit Messerschnitten vergleichbar sind. Eindeutig eine Waffe, dieses Papier.

Erst kürzlich gab es eine „Wanzen-Epidemie“ in ihrer Gegend. Überall waren sie, diese Käfer, die „liebevoll“ auch Stinkkäfer genannt werden. Im Allgemeinen ist gabriele von friedlicher Natur und rettet, was zu retten ist. Spinnen, groß und klein, Käfer jeglicher Art – auch die Maus aus dem Maul der Katze wird gerettet, so dies noch möglich ist. Aber eines Tages hatte sie einfach genug von dieser geometrisch sehr ansprechenden Lebensform, nahm kurzerhand das Buch in ihrer Hand und donnerte es auf den Käfer. Tot mit einem Schlag. Das folierte Buch stellte sich als beste Anti-Wanzen-Waffe heraus.

Gerade in Zeiten wie diesen, wenn die ganze Familie zu Hause ist, sind Bücher beliebte Waffen. Home-Schoolende Teenager verstecken sich bis zur Mittagszeit in ihren Zimmern. Dann hört man dann ein Murren: „Was gibt´s zu futtern?“, gefolgt von einem Raunzen, wenn der falsche Menüvorschlag kundgetan wird. Mit anhaltendem Lockdown entwickelt sich bei der als für den Mittagstisch-Verantwortliche-Auserkorenen aus einem wohlwollenden und schweigenden Grinsen doch das nörgelndes Gefühl, dass man hier nicht als Köchin angestellt wurde, dass das hier kein Wunschkonzert ist. Nach ein paar Tagen raunzt man zurück, dann formulieren sich langsam „Morddrohungen“ im Kopf bis schließlich das Buch zur Waffe und Richtung Jugendzimmer geschleudert wird. Das arme Buch kann nichts dafür. Die Tür auch nicht. Die Jugendlichen würde man nie treffen wollen. Ein Buch zu lesen würde man ihnen aber gern ans Herz legen. Ein Kochbuch vielleicht.

Dann gibt es noch den eher emotionalen und philosophischen Ansatz, der erklären kann, warum Bücher Waffen sind: Das Buch, dessen Einband so ansprechend war, den Autor mochte man, der Titel schrie: „nimm mich mit! lies mich!“. Und dann, dann treffen die Worte mitten ins Herz. Wie ein Messerstich. Genau. Waffe. Herzstich. Meist unmittelbarer Tod. (Oder zumindest mit Wasser gefüllte Augen.)

Das Allergefährlichste an einem Buch: es kann die Phantasie bereichern, die Intelligenz steigern. Vielleicht ist es gerade dieser Punkt, vor dem manche Angst haben. Wenn der Buchhandel offen hätte, würden vielleicht zu viele Menschen, jetzt wo sie mehr Zeit haben, auch mehr lesen. Dann würden sie eventuell mehr mitdenken, lernen selbst zu denken, Dinge zu verstehen, dannwürden lange Erklärungen nicht mehr zu den systemrelevanten Dingen gehören. Im Einsatz als Intelligenzverstärker ist das Buch vielleicht die gefährlichste aller Waffen.

Vielleicht sollte man mal bei der Wirtschaftskammer nachfragen, ob der Buchhandel nicht doch auch ein Waffengeschäft ist…

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