Lieber Basti,
ich wollte dich ein wenig besser kennenlernen, etwas mehr über dich erfahren und habe mir erlaubt, zwei deiner Biografien zu lesen. Davon gibt es ja in deinem zarten Alter schon einige! Die letzten Tage musste ich dann feststellen, dass ich mit diesem Vorhaben immer mehr undercover unterwegs sein musste. Das hat mich an meine Schulzeit erinnert. Da saß öfters ein Mann mit der Tageszeitung in der Hand im Bus. Als ich einmal in der Reihe hinter ihm saß sah ich, dass seine Tageszeitung ganz anders aussah, als die bei uns zuhause. Er hatte eine bunte Beilage mit leicht bekleideten Frauen in der Mitte…. Seine wahre Lektüre versteckte er gekonnt hinter den Seiten, die ich von daheim kannte. Nun bin ich die, die deine Biografie hinter einem anderen Deckblatt verstecken muss, weil ich sonst schräg angeschaut oder gar angeredet werde. Auf Twitter hinterfragen einige, warum ich dich „lieber“ Basti nenne, wenn du doch gar nicht so lieb bist. Meine Buchhändlerin schaute mich schockiert an, als ich fragte, ob sie eine Kurz-Biografie im Sortiment hat. Sie fragte sogar, ob ich mein Geld wirklich für so etwas ausgeben möchte. Guter Service, nicht wahr! Und meinen Browser habe ich auf „privaten Suchverlauf“ umgestellt, damit man auf meinem Laptop nicht herumschnüffeln kann und immer wieder „Sebastian Kurz“ als Suchwort findet, sonst muss ich ihn zuletzt noch shreddern lassen, den Computer!
Was diese Leute aber nicht wissen ist, dass ich in unserer gemeinsamen Zeit viel von dir lernen durfte. Ich habe gelernt, wie man unangenehme Fragen in einer Pressekonferenz mit selbstbewusstem Blick einfach an ein anderes Regierungsmitglied weitergibt. Kurzes Schweigen, nach links oder recht drehen, Regierungsmitglied erwartungsvoll anschauen. Wenn sie dann etwas Gutes sagen, kann man das noch mit einem kurzen Statement ergänzen – damit man das letzte Wort hat. Wenn Herr Blümel redet, dann schweigt man lieber und schaut ungläubig drein in der Hoffnung, dass er bald nach Wien abzischt. Nicht dass ich das den Wienern wünsche – ich habe schließlich auch Freunde, die dort wohnen. Manche sogar mit Großeltern aus anderen Ländern. Ah, genau, du ja auch….
Außerdem habe ich gelernt, dass es eigentlich immer und überall und bei jedem Thema egal ist, was man sagt. Vor allem in einer Krise, da können sich die Leute eh nicht mehr so genau daran erinnern, was man gesagt hat – das Tagesaktuelle interessiert sie, alles andere gerät in Vergessenheit. Außer bei ein paar Intellektuellen, aber solche gibt es. Hauptsache vor der Kamera stehen, ein Statement machen und gut gegangen. Ein paar Wochen später kann dann aus „es gibt keinen Grund in Panik zu verfallen“ ein „wir werden auch in Österreich bald die Situation haben, dass jeder jemanden kennt…“. Dann wieder eine Kehrtwende manchen und vom Licht am Ende des Tunnels reden. Alles gut. Solche Beispiele gibt es zuhauf. Vielleicht geht diese fcRedensart einmal als Kurz-Rhetorik in die Geschichte ein. Verdient hättest du es.
Für all das Gelernte möchte ich dir an dieser Stelle danken. Das hab ich übrigens auch in euren Pressekonferenzen gelernt: jeder muss immer jedem danken. Für alles. Fürs Kommen. Fürs Dasein. Fürs Mitmachen. Für die Eigenverantwortung. Für alles. Und allen. Erhört die Präsenz im Fernsehen, weil dann die Pressekonferenzen länger gehen.
Bei all dem Gelernten hab ich doch auch einen Wunsch, lieber Basti: Bei dieser Situation mit den Flüchtlingen in Moria – oder sollen wir sie Migranten nennen, oder gar MENSCHEN? – könntest du vielleicht auch die Kurz-Rhetorik anwenden. Du hast gesagt, dass wir keine Flüchtlinge – oh, wir wollten sie ja MENSCHEN nennen – aufnehmen werden. Vielleicht könntest du hier nun auch das Gegenteil sagen? Auch deine Meinung ändern? Sie würden dich feiern, die Wähler*innen – außer die FPÖ nahen und der Blumige – und ich könnte deine Biografien wieder in aller Öffentlichkeit lesen und dich guten Gewissens „lieber“ Basti nennen.